Berlin: Wahl-Chaos und schamlose Selbstbedienung

Am vergangenen Donnerstag hat der Landeswahlausschuss das amtliche Endergebnis der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom 26. September 2021 bekanntgegeben. Die Veränderungen bei den Zweitstimmen gegenüber dem vorläufigen Ergebnis sind ohne Bedeutung: CDU und FDP haben jeweils 0,1 Prozent eingebüßt, die Linke erhält 0,1 Prozent hinzu. Die AfD bleibt unverändert bei 8,0 Prozent und sieht sich dadurch mit einem dramatischen Verlust von 6,2 Prozent gegenüber der Abgeordnetenhauswahl von 2016 konfrontiert.

Sobald dieses endgültige Ergebnis im Berliner Amtsblatt veröffentlicht worden ist, läuft eine vierwöchige Frist für das Einreichen von Einsprüchen beim Verfassungsgerichtshof, dem höchsten Berliner Gericht. Mehrere Parteien und sogar die scheidende Landeswahlleiterin selbst haben bereits angekündigt, solche Einsprüche einzureichen. Gründe gibt es bekanntlich genug: falsche oder fehlende Wahlzettel, überforderte Wahlhelfer, temporäre Schließung von Wahllokalen, unversiegelte Wahlurnen, Stimmabgabe von Minderjährigen. Laut Landeswahlleiterin Petra Michaelis sei es am 26. September in mindestens 207 Berliner Wahllokalen zu „Wahlpannen“ gekommen. In mindestens 16 Wahlkreisen lag die Wahlbeteiligung offenbar bei mehr als 100 Prozent – eine solche Planübererfüllung bei allgemeinen Wahlen wurde nicht einmal in der DDR erreicht.

Die katastrophalen Zustände dürften zu Manipulationen geradezu eingeladen haben. Entscheidend ist, ob dies nachweislich Auswirkungen auf die Zusammensetzung des neuen Berliner Parlaments hatte. Je nachdem, wie der Berliner Verfassungsgerichtshof entscheiden wird, könnte es zu einer Wiederholung der Wahlen in einzelnen Bezirken oder Wahlkreisen kommen. Eine Wiederholung der gesamten Abgeordnetenhaus- und/oder Bundestagswahl in Berlin gilt als unwahrscheinlich.

Zur Erinnerung: Der Griff in die Kasse

Sollte sich das jetzige Endergebnis der Abgeordnetenhauswahl im Wesentlichen bestätigen, hätten die Berliner Wähler genau die Partei besonders hart abgestraft, deren Fraktion im September 2019 als einzige geschlossen gegen die schamlose Diätenerhöhung von 58 Prozent stimmte. Die Fraktionen von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken hatten damals gemeinsam ein als „Parlamentsreform“ getarntes Gesetz auf den Weg gebracht, das nicht nur die laufenden Bezüge von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses auf einen Schlag von 3.944 Euro auf 6.250 Euro erhöhte (inzwischen auf insgesamt 6.532 Euro erhöht), sondern sogar die Versorgungsansprüche mit Rückwirkung um den gleichen Prozentsatz nach oben korrigierte und mitten in der Legislaturperiode in Kraft trat. Der Rechtswissenschaftler Hans Herbert von Arnim, der diesen politischen Coup in einem kleinen Buch mit dem Titel „Der Griff in die Kasse“ (2020) aufgearbeitet hat, schreibt dazu: „Durch die Rückwirkung bei der Versorgung wird ‚langgedienten‘ Abgeordneten auf einen Schlag eine Vermögensvermehrung von mehreren Hunderttausend Euro bewilligt.“ (S. 35)

Ein ungeheuerlicher Vorgang, der in der Öffentlichkeit der Hauptstadt kaum Beachtung gefunden hat. Den etablierten Parteien kam dabei zugute, dass seit Anfang 2020 medial und politisch alles von Corona überlagert wurde. Beschlossen wurde die Berliner „Parlamentsreform“ am 26. September 2019 mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken – die AfD stimmte dagegen. Der Fairness halber soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass es auch bei den Berliner Grünen noch drei Abgeordnete gab, die sich ihrem Gewissen verpflichtet fühlen: Harald Moritz, Eva Marie Plonske und Stefan Taschner stimmten ebenfalls dagegen. (S. 5667)

Während die Berliner Verwaltung nicht einmal mehr den ordnungsgemäßen Ablauf von Wahlen gewährleisten kann, hat die Selbstbedienungsmentalität der verantwortlichen Politiker neue Dimensionen erreicht. Ob die Bevölkerung Berlins diese Leute tatsächlich in ihren Positionen bestätigt hat oder ob das Wahlergebnis eher auf Fehlern und gröberen Manipulationen beruht, müssen nun Gerichte entscheiden.

 

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