Thüringer Schicksalswahl? Torben Braga im Gespräch

Torben Braga (Jg. 1991) ist Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag sowie stellvertretender Vorsitzender des AfD-Landesverbandes im Freistaat. Er gilt verschiedenen Medien als „Architekt“ des „Kemmerich-Coups“ und „strategisches Gehirn“ der AfD in Thüringen.

„Ein Prozent“-Leiter Philip Stein hat mit Braga über die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen gesprochen.

Sehr geehrter Herr Braga, 39 Prozent der Über-60-Jährigen haben bei der diesjährigen Europawahl die CDU in Thüringen gewählt. Die AfD rangiert mit 12 Prozent auf dem dritten Platz. Deutlich besser schneidet die AfD regelmäßig bei jungen Wählern ab. Was sagt das über das Wesen Ihrer Partei aus? Ist die AfD eine Partei der Veränderung?

Es gibt verschiedene Thesen zu den Gründen für den Erfolg der AfD bei jungen Wählern und den insbesondere im Vergleich dazu relativ schlechten Zahlen unter älteren Wählern. Ich muss zugeben, dass mich keine der mir bekannten Thesen vollständig überzeugt. Die AfD ist jedenfalls die einzige relevante politische Kraft, die glaubwürdig für eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse streitet. Besonders deutlich wird das in Thüringen: Das Land wird seit fast zehn Jahren von einer Koalition aus Linken, SPD und Grünen regiert. In den letzten fünf Jahren besorgte die CDU der Verlierer- bzw. Minderheitskoalition die für den Machterhalt notwendigen Stimmen und sicherte ihr Fortbestehen. Und das in Thüringen tatsächlich recht starke BSW wird hier von ehemaligen Linken-Funktionären angeführt, die sich nie auch nur im Ansatz von der Politik ihrer ehemaligen Partei losgesagt oder auch nur ein Wort der Kritik daran geäußert haben. Das scheint besonders jüngeren Wählern klar zu sein.

Der neue Werbespot der CDU Thüringen zur kommenden Landtagswahl wird gerade im Internet mächtig durch den Kakao gezogen. Einige Wenige sprechen hingegen von einer gekonnten Zielgruppenansprache. Mögen Sie gerne Salz in Ihrem Kaffee?

Vom Werbespot habe ich ehrlicherweise nur wahrgenommen, dass der Spitzenkandidat der Thüringer CDU, der sich seit Monaten kräftig darum bemüht, aus der anstehenden Landtagswahl ein Voigt-vs.-Höcke-Duell zu machen, sich nicht einmal traut, Björn Höcke selbst anzugreifen. Er schickt dafür einen kleinen Jungen vor, der wohl am Ende des Spots Björn Höcke als „doof“ beschimpft. Im Übrigen trinke ich keinen Kaffee.

Spaß beiseite, Stichwort „Veränderung“: Thüringen wurde nun seit Ende 2014 von Bodo Ramelow, also von „den Roten“ regiert. Was hat sich unter Ramelow tatsächlich verändert? Die AfD behauptet regelmäßig, er habe das Land schlecht regiert.

Hier lasse ich die Zahlen sprechen: Zwischen 2014 und 2024, also in der Regierungszeit Bodo Ramelows, ist das Haushaltsvolumen Thüringens, also die Höhe der Ein- und Ausgaben des Landes, um über 51 Prozent gestiegen, die Thüringer Wirtschaft aber nur um etwa 35 Prozent gewachsen. Das Land lebt also über seine Verhältnisse und verfügt inzwischen über keine finanziellen Rücklagen mehr. Das Geld wird aber nicht etwa für dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur oder für ausreichende neue Lehrer- oder Polizistenstellen verausgabt, sondern primär für das Großprojekt der ungeregelten Massenmigration und für Wahlgeschenke an das rot-rot-grüne Klientel, in der Hoffnung diesem Verliererbündnis ein parlamentarisches Überleben zu sichern.

Die Ausländerquote ist von 2,5 Prozent im Jahr 2014 auf 8,3 Prozent Ende 2023 gestiegen, der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger in der Kriminalitätsstatistik im gleichen Zeitraum derweil von 8,4 Prozent auf unfassbare 27,3 Prozent. In Thüringen fällt inzwischen fast jede zehnte Unterrichtsstunde an den Schulen aus, das Problem des Lehrermangels hat sich unter Rot-Rot-Grün also nur noch verschärft. Kurzum: Ramelow und seine Regierung haben die Probleme des Landes nicht nur nicht gelöst, sie hat sie in vielen Bereichen noch verschärft!

Nun scheint es mit Ramelow politisch vorbei zu sein. Oder was denken Sie? Sind SPD, Linke und Grüne in Thüringen erst einmal Geschichte?

Bodo Ramelow scheint tatsächlich keine strukturelle Machtperspektive mehr zu haben. Seine Partei erlebt einen beispiellosen Absturz. Von den 31 Prozent der Zweitstimmen bei der Landtagswahl 2019 blieben bei der Europawahl 2024 nur noch 5,7 Prozent übrig. So schlecht wie bei der Europawahl wird Die Linke bei der Landtagswahl aufgrund der Bekanntheit und doch noch vorhandenen Beliebtheit des Ministerpräsidenten nicht abschneiden.

Aber die Grünen kämpfen mit der 5-Prozent-Hürde und auch die SPD nähert sich zusehends dieser Sperrklausel. Ramelow dürfte also nur noch geschäftsführend im Amt bleiben bis sich eine neue Regierung gebildet hat, und das könnte viel Zeit in Anspruch nehmen. Oder seine Partei beteiligt sich an einem irgendwie gearteten Bündnis mit CDU und BSW, um eine Regierungsbeteiligung meiner Partei zu verhindern. Ramelow schuldet seine zweite Amtszeit ja der CDU und Mario Voigt. Es könnte durchaus sein, dass er sich nun revanchieren muss und will und so Mario Voigt die Schlüssel der Staatskanzlei überreicht.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Liegt es tatsächlich daran, dass die Bürger in Thüringen unzufrieden mit konkreten Entscheidungen sind? Ist es eine allgemeine Stimmung? Ihre gute Arbeit in der Opposition womöglich sogar?

Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn die Wechselstimmung Ergebnis unserer guten Oppositionsarbeit wäre, bin aber nicht so arrogant zu glauben, sie könne die einzige Ursache sein. Meines Erachtens haben alle „etablierten“ Parteien in Thüringen massiv an Vertrauen verloren – einerseits durch die in jeglicher Hinsicht missratene Corona-Politik, andererseits auch durch das gebrochene Neuwahlversprechen. Nach der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten im Februar 2020 und der sich daran anschließenden „Krise“ hatten alle Parteien eine zeitnahe Neuwahl des Landtags versprochen. Diese wurden zunächst verschoben und letztlich im Sommer 2021 abgesagt. Vorgeblich weil die notwendige Zweidrittelmehrheit zur Auflösung des Landtags nur mit AfD-Stimmen zu Stande gekommen wäre. Insgeheim freuten sich aber viele CDU- und Linken-Abgeordnete schlicht darüber, einige Jahre weiter als Abgeordnete tätig sein zu können. Denn die damaligen Umfragen sagten bereits massive Stimmverluste voraus.

Verlassen wir die Abteilung der potentiellen Verlierer: Wie steht es um Sie und die CDU? Öffentlich teilt Mario Voigt besonders gern gegen Höcke aus. Und auch Stefan Möller kämpft auf Twitter sehr eifrig gegen die CDU. Ist das eine große Show, um Wahlkampf zu betreiben, am Ende gibt es aber womöglich eine gemeinsame Koalition?

Davon abgesehen, dass ich persönlich kaum an eine Koalition meiner Partei mit der CDU zur Bildung einer Landesregierung in Thüringen glaube, gehört die auch harte Auseinandersetzung zwischen allen Parteien – insbesondere in Wahlkampfzeiten – einfach dazu! Es wäre recht unprofessionell, geradezu kindisch, wenn man eine Zusammenarbeit daran scheitern ließe, dass sich die Spitzenfunktionäre der Parteien im Wahlkampf hart angegriffen haben.

Die AfD wird voraussichtlich stärkste Kraft werden – mit dem Regieren wird es aber wohl abermals schwer. Was sagt das über unser System aus? Und wie stellen Sie sich die Zukunft der AfD in Thüringen unter diesen Umständen vor? Was ist Ihr Plan?

Dass die stärkste Partei nicht immer an einer Regierung beteiligt sein muss, ist in der parlamentarischen Demokratie nichts gänzlich Neues, also Außergewöhnliches. Meine These ist aber: Wenn eine Partei nachhaltig und wiederholt hohe Wahlergebnisse erzielt, durch eine „Brandmauer“ aber von jeglicher Gestaltung der Politik ausgeschlossen bleibt, trägt dies einerseits zum schwindenden Vertrauen der Wähler in die Institutionen des Staates bei, andererseits wird das die betroffene Partei auf Dauer nur stärken. Ich betrachte den Auftrag der AfD also als einen sehr langfristigen. Wir laufen einen Marathon, keinen Sprint. Auch für die AfD ist Politik „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern“. Der Druck zur kurzfristigen Veränderung, ja Verbesserung unseres Landes muss also von außerhalb des Parlaments, der Ministerien, der Regierungszentralen kommen, weshalb die AfD gut beraten ist, verstärkt auf die Zusammenarbeit mit Akteuren aus dem vor- und außerparlamentarischen Raum zu setzen.

Noch einmal ganz kurz zur CDU: Die AfD bemüht sich seit rund 11 Jahren – gesamtheitlich betrachtet – um eine Koalition bzw. Zusammenarbeit mit der CDU. Wäre es nicht sinnvoller, jenseits der sog. Altparteien nach Verbündeten zu suchen? Wie steht es um Sie und das BSW?

Zunächst: Ich stimme der Aussage nicht zu, wonach die AfD sich um eine Koalition mit der CDU bemüht. Die AfD bemüht sich nach meiner Wahrnehmung in erster Linie um die Umsetzung ihres eigenen Programms – und das ganz ungeachtet des möglichen Partners. Es mag sein, dass die programmatischen Übereinstimmungen mit der Union größer sind als mit anderen Parteien. Aber seit Jahren stimmen wir im Landtag allen Initiativen zu, die eine Umsetzung unserer Forderungen zur Folge haben – unabhängig davon, wer die Anträge letztlich stellt. Diese eigentliche Selbstverständlichkeit, dieser Pragmatismus ist meines Erachtens eine wichtige Komponente unseres Erfolgs beim Wähler und gilt selbstverständlich weiterhin, auch in Bezug auf neue Parteien. Unser Selbstverständnis sollte aber sein, immer von einer Position der Stärke aus zu verhandeln, weshalb sich die Fokussierung auf nur einen möglichen Koalitionspartner verbietet.

Die CDU scheint jedenfalls in Richtung BSW zu blicken. Aktuell scheint das die einzig mögliche Koalition in Thüringen zu sein – abseits der AfD natürlich. Halten Sie das für möglich, kann das „halten“ und was sagt das über beide Parteien aus?

Die CDU trägt seit inzwischen fast fünf Jahren die Politik einer links-geführten rot-rot-grünen Koalition mit und besorgt ihr die benötigten Mehrheiten. Auch in der vorigen Legislaturperiode, der ersten Ramelow-Regierung, hat die CDU alles andere als harte Oppositionsarbeit geleistet. Diese Rolle übernahm die AfD. Das BSW steht indes für eine Fortsetzung linker Politik unter einem anderen Label. Der Weg der CDU vom Steigbügelhalter der Ramelow-Linken zum dankbaren Partner seiner früheren Parteifreunde, die sich nun im BSW organisieren, ist nicht sonderlich weit. Inhaltliche Konflikte und Differenzen, die eine auch lange Zusammenarbeit zwischen diesen zwei Parteien verunmöglichen, sind mir außerdem unbekannt. Mein Eindruck ist ohnehin, dass alle diese Akteure bereit wären, Inhalte und Überzeugungen über Bord zu werfen um eine Regierungsbeteiligung zu sichern. Insofern deutet in der Tat einiges auf eine solche Koalition hin, korrekt.

Herr Braga, ob nun Gehacktes oder Mett, was empfehlen Sie unseren Lesern für eine thüringische Spezialität, wenn diese nach dem Wahlsieg der AfD scharenweise gen Grenze pilgern?

Natürlich die originale Thüringer Rostbratwurst, am besten mit Altenburger Senf!

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Warum Wahlbeobachtung?

In wenigen Wochen, am 1. September 2024, wird in Sachsen und Thüringen der Landtag gewählt. Drei Wochen später, am 22. September, folgt die Landtagswahl in Brandenburg. Während AfD-Funktionäre leicht ernüchternd auf die aktuellen Umfrageergebnisse blicken, sind viele im Vorfeld elektrisiert. Diese Wahlen könnten die politische Landschaft fundamental verändern, was die Wahlbeobachtung umso bedeutender macht. Hier sind einige Tipps, was ihr jetzt – sogar noch heute! – unternehmen könnt, um im September einen weiteren Sieg einzufahren!

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