Während in den europäischen Metropolen im Wochentakt Bürger dem Terrorismus zum Opfer fallen, trifft sich jeden Sonntag eine wachsende Anzahl an Demonstranten und schwenkt blaue EU-Fahnen auf den Plätzen der Großstädte. Wer sind diese Menschen und was steckt hinter der sogenannten Bürgerbewegung Pulse of Europe (PoE)? Ein Prozent hat sich auf die Suche gemacht: In drei Artikeln widmen wir uns den Thesen der Initiative, den Hintergründen und Organisatoren und der medialen Reaktion auf Pulse of Europe.
Trump und Brexit als Initialzündung
Nach Angaben des Kopfes von PoE, dem Frankfurter Rechtsanwalt Daniel Röder, war der Schock der Trump-Wahl und des Brexit-Referendums Auslöser für die Gründung des Projektes. Am 9. November – also quasi am Morgen danach – traf man sich und begann das Konzept auszuarbeiten. Nur wenig später fand die erste Demonstration statt: Ende November kamen 200 Menschen im Frankfurter Europaviertel zu einer Kundgebung zusammen. Man demonstrierte für ein einiges Europa, für Grundrechte und gegen nationale Alleingänge und ihre Apologeten. Der Testlauf glückte und am 5. Februar 2017 startete das Projekt offiziell: Mit eigener Internetseite und einem Manifest aus zehn Grundthesen. Inzwischen bringt Pulse of Europe jeden Sonntag europaweit um die 20.000 Menschen auf die Straße, den Großteil davon in der Bundesrepublik. Die Veranstaltungsformen variieren von Standkundgebungen über Demonstrationszüge bis hin zu Flashmobs, überall vorherrschend jedoch: Die blaue Fahne der Europäischen Union.
Die 10 Grundthesen von Pulse of Europe
1. Europa darf nicht scheitern
2. Der Frieden steht auf dem Spiel
3. Wir sind verantwortlich
4. Aufstehen und wählen gehen
5. Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit sind unantastbar
6. Die europäischen Grundfreiheiten sind nicht verhandelbar
7. Reformen sind notwendig
8. Misstrauen ernst nehmen
9. Vielfalt und Gemeinsames
10. Alle können mitmachen – und sollen es auch
Welches Europa wünscht sich Pulse of Europe?
Die Thesen von Pulse of Europe lassen – auch, wenn man die auf der Website pulseofeurope.eu angefügten Erläutungen miteinbezieht – kaum Rückschlüsse auf konkrete Forderungen der Initiative zu. Aufschlussreich für den Charakter des Projektes ist allerdings der Europabegriff, den PoE propagiert. Europa ist für die Initiatoren untrennbar mit der Institution der Europäischen Union verbunden. Das sieht man schon in der ersten These, die auf der Website des Projektes weiter ausgeführt wird:
„Wenn nicht alle, denen Europa wichtig ist oder die auch nur davon profitieren, aktiver werden und wählen gehen, droht die europäische Union (sic!) in Kürze zu zerfallen. Die kommenden Wahlen sind von existenzieller Bedeutung. Für Europa geht es jetzt um alles!“
Wie man es aus Funk und Fernsehen und von etablierten Politikern gewohnt ist, werden die beiden Begriffe ohne jede Unterscheidung synonym verwendet. Die Existenz des Lebens- und Kulturraumes Europa wird also zwingend an die EU gekettet, zu Europa gehört nur, wer auch Mitglied in der Union ist. Entsprechend exklusiv liest sich dann auch die Erläuterung zu These 7:
„Europa muss erhalten werden, damit es verbessert werden kann. Die europäische Idee muss wieder verständlicher und bürgernäher werden. Sie muss von unten nach oben getragen werden. Europa soll wieder Freude bereiten. Wer austritt, kann nicht mitgestalten.“
Nimmt man diese Forderung ernst, so liegt das Problem nicht etwa in der EU als zentralistischer Bedrohung der Souveränität der Völker, sondern darin, dass man diese „europäische Idee“ dem Bürger nicht ordentlich erklärt hat und er jetzt – unmündig und hilflos, wie er ist – den populistischen Europafeinden hinterherläuft. Und noch einen Schluss lässt die These zu: Wer sich gegen den Brüsseler Bürokratenapparat wehrt, ist kein Mitglied der europäischen Gemeinschaft.
Wer Europafeind ist, entscheiden wir!
Überhaupt ist es mit den Europafeinden bei Pulse of Europe so eine Sache. So heißt es in den Erläuterungen zu These 3:
„Wer untätig ist, stärkt die antieuropäischen Kräfte. Europa braucht jetzt jeden Menschen. Alle Teile der Gesellschaft haben die Pflicht, destruktiven und rückwärtsgewandten Tendenzen entgegenzutreten. Europa darf sich nicht spalten lassen.“
Mit der befürchteten Spaltung Europas verknüpft PoE jede nur erdenkliche Grausamkeit, alles ist bedroht: Von „Personenfreizügigkeit, freiem Warenverkehr, freiem Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit“ über die „Pressefreiheit“ bis hin zur „Freiheit der Einzelnen, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit“ sind alle Errungenschaften des vereinigten Abendlandes im Visier der Anti-Europäer. Schlimmer noch: „Der Frieden steht auf dem Spiel.“
Die „antieuropäischen Kräfte“, welche Europa zielgenau in ein neues Mittelalter steuern, bleiben dabei weitestgehend ungenannt. Lieber verweist man auf unbestimmte „Europa-Gegner“ und hebt die Wichtigkeit der Wahlen hervor, ohne jedoch direkt Partei zu ergreifen. Aufgrund des überparteilichen Anspruches der Initiative hält man sich mit konkreten Wahlempfehlungen zurück, wichtig ist ohnehin nur, wofür die Bürger nicht stimmen:
„Gebt europafreundlichen Parteien Eure Stimme. Wir sind überzeugt, dass die Zahl der Menschen, die der europäischen Idee positiv gegenüberstehen, viel größer ist als die der Europa-Gegner.“
Ein Europa der Bürger?
Dass Pulse of Europe gerne Bürgerbewegung sein möchte, steht außer Frage. „Wir wollen die schweigende Mehrheit aufrütteln“ schreiben die Initiatoren auf ihrer Internetseite. Doch wem nützen die von PoE postulierten „Europäischen Grundfreiheiten“ „ Personenfreizügigkeit, freier Warenverkehr, freier Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit“ wirklich? Das Publikum, das PoE in Großstädten wie Frankfurt oder Köln anzieht, rekrutiert sich in großen Teilen aus gehobenen Gesellschaftsschichten. Unternehmer, Anwälte, Akademiker und Marketingexperten interessieren sich für die Bewegung, den Durchschnittsbürger erreichen die diffusen Thesen eher weniger. Das dröhnende Schweigen der Initiative zu TTIP und CETA spricht in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache: Verteidigt werden soll der europäische Wirtschaftsstandort und der ungehinderte Fluss von Menschen und Kapital. Das spricht natürlich auch die etablierten Parteien und das Establishment aus Medien und Presse an. Von Martin Schulz über Cem Özdemir bis hin zu Michael „Bully“ Herbig: Wer heute etwas auf sich hält, geht auf die Straße und gibt sich bürgernah.
Europa der Vielfalt
„Die Vielfalt innerhalb Europas ist großartig. Sie zu erhalten und regionale und nationale Identitäten zu wahren, muss europäisches Programm sein. Gleichzeitig verbindet uns Europäer so viel. Vielfalt und Gemeinsamkeit sind kein Widerspruch, und niemand muss sich zwischen regionaler, nationaler und europäischer Identität entscheiden.“
Was zuerst klingt wie ein Zitat aus einem Video der Identitären Bewegung oder einem Buch des Jungeuropa Verlags, entpuppt sich bei näherer Untersuchung als ein Phänomen, welches bei PoE immer wieder auffällig wird: Leere Worthülsen, wie das Wort „Vielfalt“, werden genutzt, um Scheinthesen ohne wirklichen Inhalt aufzustellen. Wer von Europas Vielfalt und Identität schreibt und von Kultur und Sprache, den europäischen Völkern und den Jahrtausenden ihrer gemeinsamer Geschichte und ihren Werten, die über einen rechtsstaatlichen Grundkonsens hinausgehen, schweigt, der zeigt bereits, dass sein Fokus nicht etwa auf dem Erhalt der Identität der Europäer liegt. Die Vielfalt, die Pulse of Europe beschwört, unterscheidet sich nicht von der Vielfalt der One-World-Fans, sie ist und bleibt die zentrale Vokabel der Globalisierung sowie der Verwirtschaftung von Menschen und Nationen.
Wir schauen hinter die Kulissen!
Woher kommt die angebliche Bürgerbewegung Pulse of Europe? Welche Netzwerke stehen hinter dem Projekt? Im nächsten Artikel widmet sich das Recherchenetzwerk von „Ein Prozent“ den Organisatoren hinter Pulse of Europe und deckt auf, wer eigentlich für den Erfolg der Initiative verantwortlich ist.