Italien war das erste Land in Europa, in dem sich der Ausbruch des Corona-Virus zur nationalen Krise entwickelt hat. Seitdem hat das Land am Mittelmeer drastische Maßnahmen verhängt. Wir wollen von Alberto Palladino, einem Reporter und Journalisten aus Rom, wissen, wie sich das Leben der Italiener verändert hat und was das für die Zukunft des Landes bedeutet.
(An English version of the interview can be found here)
Mit Kamera, Presseausweis und Schutzmaske im Großstadtdschungel
Alberto, du lebst in Rom, einer Großstadt im Ausnahmezustand. Erzähl uns, wie hat sich das Leben geändert, seit die Regierung beschlossen hat, das öffentliche Leben auf ein Minimum zu beschränken?
Alberto Palladino: Es ist ein merkwürdiger, fremder Ort geworden. Die Stadt mit fast drei Millionen Einwohnern und 29 Millionen Touristen im letzten Jahr ist jetzt wie leergefegt. Man bewegt sich wie durch eine Filmkulisse. Auf den Straßen sieht man lediglich Polizeipatrouillen und die Fahrradkuriere der Lieferdienste. Natürlich gibt es auch Schlangen von Menschen vor den Supermärkten, aber die typische „Hintergrundmusik“ der Stadt, die Autos, die Stimmen, all das fehlt.
Das Gesellschaftsleben hat sich auch gewandelt. Die öffentlichen Parks der Stadt wurden geschlossen, nachdem sich die Krise zu einem nationalen Notstand ausgeweitet hatte. Nun sind die meisten Menschen in ihre Wohnungen eingesperrt und wenn sie sie verlassen wollen, müssen sie auf einem Vordruck erklären, welche Gründe sie dafür haben. Ich persönlich durchstreife den leeren Großstadtdschungel mit meinem Presseausweis und der Schutzmaske vor dem Gesicht. Und natürlich habe ich meine Kamera dabei.
Was waren die Maßnahmen der italienischen Regierung gegen die Ausbreitung des Corona-Virus?
AP: Am Anfang, als der Virus in einigen kleinen Städten im Norden des Landes auftrat, war die Regierung zwiegespalten zwischen denjenigen, die das Problem unterschätzten und denen, die eine komplette Katastrophe voraussagten.
Aber dann wurde der Vorsitzende der Demokratischen Partei (die auch an der Regierung beteiligt ist – Anm. der Redaktion) positiv auf Corona getestet; seitdem hat sich der Umgang geändert. Woche um Woche wurden die Maßnahmen und Beschränkungen für die Bürger verschärft.
Unter Berücksichtigung der großen Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen Italiens kann man sagen, dass die vorzügliche Leistung der medizinischen Einrichtungen im Norden, vor allem in Venetien und der Lombardei, die Krise weniger dramatisch hat ausfallen lassen.
Unabhängig davon wurden in der Vergangenheit zahlreiche Krankenhäuser in den ländlichen Regionen aufgrund von Einsparungen geschlossen. Und jetzt, da man Betten und Intensivstationen benötigen würde, werden diese knapp.
Wen manchen die Bürger politisch verantwortlich?
AP: Ich glaube, dass nur die wenigsten Menschen wissen, was die Strategie der Regierung überhaupt ist. Natürlich verstehen sie, dass es restriktive Maßnahmen gibt. Aber die tatsächlichen Probleme, die nicht länger nur medizinische, sondern auch wirtschaftliche sind, werden nicht herausgestellt.
Die Pandemie wird vorübergehen, aber die Quarantänezeit wurde bereits dreimal verlängert. Die wirtschaftlichen Notprogramme wurden an den Start gebracht, um italienische Familien und die Wirtschaft zu unterstützen, aber der anvisierte Umfang des Pakets, 25 Milliarden Euro, ist beinahe lächerlich im Vergleich mit anderen Ländern.
Patriotische Parteien versuchen ihr Bestes, aber nur derjenige wird gestärkt aus der Krise hervorgehen, der ein Konzept findet, wie Italien sich nicht noch mehr verschuldet.
Viele Menschen haben jetzt die Befürchtung, ihre Jobs zu verlieren. Denkst du, das wird in Italien über kurz oder lang passieren?
AP: Das ist die eigentliche Tragödie. Leider gibt es in Italien immer noch mehr als drei Millionen Schwarzarbeiter. Die Schwarzarbeit erwirtschaftet 77,2 Milliarden Euro, das entspricht 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts!
Auch wenn diese Arbeit „schwarz“ ist, so sind doch eine Vielzahl von Menschen, Familien, davon abhängig und überleben nur so. Dieses System, das in der Vergangenheit als eine Art Puffer für Wirtschaftskrisen gedient hat, ist nun zusammengebrochen.
Die Steuern, die die Regierung erst später eintreiben will, werden trotzdem auf die Leute zukommen. Dazu muss man bedenken, dass eine Familie, die den ganzen Tag zuhause eingesperrt ist, einen gesteigerten Verbrauch von Lebensmitteln, Strom, Wasser, Gas und so weiter hat.
Zum Glück gibt es auch eine Welle neuer Solidarität unter den Italienern. Zum Beispiel haben die großen patriotischen Gruppen des Landes, etwa CasaPound, ihre Aktivisten angewiesen, Lebensmittel und Medikamente direkt zu den bedürftigen Menschen nach Hause zu bringen. Bürger spenden online Geld und die Aktivisten übernehmen das Einkaufen und die Auslieferung.
Also rücken die Menschen in der Krise zusammen?
AP: Wenn Italien jetzt keine drastischen Wirtschaftsmaßnahmen ergreift, wird es kein Frühlingserwachen nach der Krise geben. Dem Corona-Virus wird eine Wirtschaftskrise folgen. Die unklare und eigennützige Linie der Europäischen Union im Umgang mit dem Virus hat Argwohn und Misstrauen in der italienischen Bevölkerung geweckt und macht es möglich, über die Union und ihr Wirtschaftssystem nachzudenken. Während die Italiener starben, bot uns die Finanzelite neue Schulden an, statt es dem Land zu erlauben, die EU-Wirtschaftsvorschriften zu überschreiten.
Stehen wir also am Anfang eines Umdenkens, hin zurück zum Nationalstaat?
AP: Ich denke, dass wir an einem Wendepunkt angekommen sind. Entweder nutzen wir die Möglichkeit, die uns Corona paradoxerweise eröffnet, und denken über neue Formen des Engagements in der EU nach oder wir werfen all die Opfer über Bord.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Wirtschaft und Währung zurück in die Hand des Nationalstaats geben müssen. Die Investitionen der Zukunft können wir uns nicht zugunsten einer Verschuldung bei der staatenlosen und spekulativen globalen Finanzelite erkaufen. Natürlich muss die europäische Kooperation dort erhalten bleiben, wo sie sinnvoll ist; etwa in den Bereichen Kultur, Forschung, Medizin, Technologie, Verteidigung und so weiter.
Hast du eine abschließende Anekdote aus dem Leben unter Quarantäne in der „ewigen Stadt“ zu berichten?
AP: Was die Quarantäne in Rom deutlich zu Tage trägt, sind die Masse der Leute, die auf dem Papier gar nicht existieren und die jeder Form von Prävention entgehen. Obdachlose, Drogenabhängige, Bettler, Migranten – für sie alle gibt es keinen Corona-Notfallplan. Um den Hauptbahnhof herum leben unzählige verzweifelte Menschen, die potentielle Opfer des Virus darstellen. Jetzt, wo alle anderen Menschen zuhause sind, fällt die Präsenz der „Ausgestoßenen“ doppelt auf. Wie kann ein Staat so ein Risiko zulassen, wenn er gleichzeitig solche strikte Maßnahmen über seine Bürger verhängt hat?
Auf der guten Seite hingegen sieht man aus den Fenstern tausende Nationalflaggen hängen, ein Zeichen, dass das Nationalgefühl noch tief in den Menschen steckt. Und dann sind da noch die Gesten puren Heldentums, wie etwa die zweier junger patriotischer Aktivisten, die 200 FFP2-Masken zum Spallanzani-Krankenhaus brachten, wo viele der schwersten Corona-Fälle behandelt werden. Die Masken hatten sie zuvor mit einer Spendenaktion organisiert.
Die Quarantäne wird Italien verändern. Viele Italiener haben für eine lange Zeit den Wohlstand als selbstverständlich betrachtet. Vielleicht fangen wir jetzt, in Trauer über die vielen Toten, damit an, den kleinen Dingen Aufmerksamkeit zu schenken, die nichtsdestoweniger wichtig sind. Das Gedächtnis der Italiener ist oft kurz, aber nicht, wenn die Leben unserer Mitbürger in Gefahr sind. Zukunftspläne, wie Ausgabenkürzungen, Defizite, unkontrollierte Grenzöffnungen, werden Alarmglocken bei den Menschen klingeln lassen.
Danke, Alberto, für deine Einschätzung!
Über Alberto Palladino
Alberto Palladino ist ein 32 Jahre alter Reporter und Fotograf, der sich auf Projekte in Krisen- und Kriegsgebieten spezialisiert hat. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Bild und Schrift von großen politischen Demonstrationen, etwa von den Gelbwesten-Protesten in Paris, zu berichten.
Für seinen Beruf ist er den Guerillas in den Dschungel von Burma gefolgt und mitten im Krieg nach Syrien gereist. Zusammen mit anderen koordiniert er die Arbeit der internationalen Freiwilligenorganisation „Solidarity and Identity“ (Sol.Id), die Projekte im Kosovo, in Syrien, Palästina, Südafrika und Burma unterstützt und sich dem Schutz der Identität der Einheimischen verschrieben hat.
Von seinen Erfahrungen berichtet er regelmäßig in italienischen Zeitungen, etwa in der Il Giornale, der Libero und in Il Primato Nazionale.
Alle Bilder in diesem Artikel sind von ihm.