Am 12. Februar 2023 wird in Berlin wieder gewählt. Das Landesverfassungsgericht hat gestern die Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) angeordnet. Die Gründe hierfür: Pannen, eine schlechte Vorbereitung und die völlig überforderten Verantwortlichen bei den ursprünglichen Wahlen im September 2021.
Allerdings sind mit der Entscheidung des Gerichts längst nicht alle Unstimmigkeiten ausgeräumt: Während am Superwahltag laut Berliner Verfassungsgericht die Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen katastrophal abliefen und jetzt nachgeholt werden müssen, vertritt der Bundestag die Ansicht, die Bundestagswahl in Berlin sei zeit- und ortsgleich korrekt abgelaufen. Das ist natürlich höchst unwahrscheinlich, aber eine Wahlwiederholung hätte wohlmöglich weitreichende Folgen für alle Bundestagsparteien.
Ein komplett kaputtes System
Wir berichteten bereits im Juni über die Berliner Wahlkatastrophe. Unsere Kritik: Verantwortlich für den Einspruch zur Bundestagswahl ist der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags, der wiederrum von den Volksvertretern gebildet wird. Das bedeutet, Bundestagsabgeordnete entscheiden selbst darüber, ob sie in einer Neuwahl wohlmöglich ihr eigenes Mandat verlören. Deswegen hat das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts keinen Einfluss auf die Bundestagswahl in Berlin – zumindest nicht direkt.
Wie von uns vorhergesagt, folgte der Wahlprüfungsausschuss nicht der Forderung des Bundeswahlleiters, ganze Wahlbezirke oder ganz Berlin erneut wählen zu lassen, sondern möchte nur in 431 ausgewählten Berliner Wahllokalen noch einmal abstimmen lassen. Die Nachhol-Bundestagswahl für die Berliner soll an einem gesonderten Termin stattfinden und nicht zum Nachholtermin der anderen Wahlen am 12. Februar 2023. Warum ist das so?
Ganz einfach: Der Bundeswahlleiter hat bereits berechnet, wer sein Mandat verlieren wird, wenn in allen Bezirken erneut abgestimmt würde. Auch ein Mitglied des Wahlprüfungsausschusses – Lars Lindemann von der FDP – wäre direkt betroffen. Seinen Job im Bundestag will niemand verlieren.
Zudem plagt alle Bundestagsparteien eine weitere Angst: Die Linke könnte aus dem Bundestag fliegen, weil sie aktuell nur wegen ihrer drei Direktmandate im Bundestag sitzt (weitere Details dazu lest ihr hier). Zwei dieser Mandate stammen aus Berlin. Sollte nun die gesamte Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden und die angeschlagene Linke verlöre eines der Direktmandate, dann flöge auch die Linkspartei mit allen per Liste eingezogenen Abgeordneten aus dem Bundestag. Das bedeutet aber auch, dass dann für alle anderen Parteien weniger Ausgleichsmandate notwendig wären, um den Stimmanteil der Parteien nach Zweitstimmen korrekt abzubilden – also verlieren auch alle anderen Fraktionen Abgeordnete, wenn die Linke den Wiedereinzug verpasst.
Aktuell gibt es 34 Überhangmandate und unglaubliche 104 Ausgleichsmandate. Der Bundestag, dessen Größe eigentlich auf 598 Abgeordnete angelegt ist, besteht derzeit aus 736 Abgeordneten.
Deswegen geht es im Fall der Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin nicht nur um die direkt gewählten Berliner Bundestagsabgeordneten, sondern um Mandate aller Parteien aus dem ganzen Land.
Genau hier zeigt sich, dass unser komplett kaputtes Wahlsystem einen weiteren Systemfehler in sich trägt. Experten fordern schon lange, dass die Wahlprüfung in die Hände des Bundesverfassungsgerichts gelegt werden muss. Der Berliner Fall stellt eindrücklich unter Beweis, dass der Bundestag der falsche Platz für diese grundlegende demokratische Entscheidung ist.
Unsere erste Recherche:
Abgeordnete nutzen Systemversagen
Laut eines Spiegel-Berichts kursiert unter betroffenen Bundestagsabgeordneten der Plan, bei einer vollständig zu wiederholenden Bundestagswahl in Berlin dennoch vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Man hofft dort aber nicht auf eine Entscheidung in ihrem Sinne, sondern spielt auf Zeit. Das Verfahren soll künstlich in die Länge gezogen werden und man geht davon aus, dass die Legislaturperiode vorüber ist, bevor das Gericht abschließend entscheiden kann.
So machen sich Abgeordnete die mehrfachen Staatsdefekte im Wahlsystem, der Berliner Verwaltung, bei der Zuständigkeit der Wahlprüfung und in der Gerichtsbarkeit zunutze, um ihre gut bezahlten Jobs für sich und ihre engen Parteifreunde zu erhalten.
Bürger, die von diesen Volksvertretern eigentlich repräsentiert werden sollen, können nur fassungslos zusehen.
Zieht der Bundestag nach?
Doch der Bundestag steht wegen seiner Entscheidung gegen eine umfangreiche Wahlwiederholung unter Druck. Immerhin hat das Landesverfassungsgericht festgestellt, dass die Wahlen am Berliner Superwahltag als ungültig zu bewerten sind. Warum diese Bewertung nur für die Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen gelten soll und nicht für die zeitgleich stattfindende Bundestagswahl, bleibt unklar.
Nach der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts muss zumindest der Wahlprüfungsausschuss erklären, ob er seine Bewertung der Vorgänge aufrechterhält. Mit etwas öffentlichem Druck könnte es auch zu einer vollständigen Wahlwiederholung der Bundestagswahl in Berlin kommen. Wenn sich das Bundesverfassungsgericht nicht austricksen lässt, wäre sogar eine starke Veränderung der Zusammensetzung des Bundestags möglich. Aber die politische Erfahrung zeigt, dass dieser Weg wohl sehr unwahrscheinlich ist. Zu groß ist das Eigeninteresse der Diätenempfänger mit Bundestagsmandat.
Ein Sieg der Wahlbeobachter
Unzählige Einsprüche gegen alle Berliner Wahlen vom 26. September 2021 kamen von Wahlbeobachtern, die das Chaos am eigenen Leib miterlebt haben. Als wir am Tag der Bundestagswahl die Meldungen der Berliner Wahlbeobachter erhielten, glaubten wir zunächst an einen schlechten Scherz. Zu absurde Informationen trudelten ein, die sich auch nicht bei örtlichen Verantwortlichen überprüfen ließen. Die komplette Struktur der Landeswahlleitung war zusammengebrochen.
Wenn uns das nächste Mal jemand sagt, die Wahlen in Deutschland seien sicher, dann verweisen wir auf das Verfassungsgerichtsurteil von gestern und auf die Berliner Unfähigkeit.
In Krisenzeiten wird Wahlbeobachtung immer wichtiger. Wir kämpfen nicht nur gegen Wahlfälscher und Betrüger, sondern auch gegen komplett unfähige Verantwortliche, die nicht wissen, welchen Schaden sie unserem Land zufügen.
Merkt euch den 12. Februar 2023 als Wahlbeobachter (auch aus anderen Bundesländern) oder Wahlhelfer vor! Wir werden euch brauchen.