Die Inflation ist in aller Munde. Ökonomen und Finanzjournalisten warnen seit Jahren vor diesem altbekannten Übel, während die Zentralbanker das Thema entweder ignorieren oder leugnen. Im Februar dieses Jahres lag die offizielle Inflationsrate in der Eurozone bei 8,5 Prozent, dem höchsten Wert seit mehr als 20 Jahren. Hinter dem Schreckgespenst Inflation – oder einfach nur Teuerung – verbirgt sich keine Naturkatastrophe, die einerseits unverständlich und andererseits unbezwingbar ist, sondern ein ökonomischer Prozess, der untrennbar mit dem gesamten Themenkomplex Wirtschaft verbunden ist.
Inflation ohne Ende?
Im Kern geht es um die Teuerung der Verbraucherpreise und damit um die Kaufkraft pro Geldeinheit: Konnte sich ein Bürger im Jahr 2020 mit dem gleichen Geldbetrag noch drei Kugeln Eis leisten, so muss er aufgrund der Inflation mittlerweile auf eine Kugel Eis verzichten, da die Preise gestiegen sind. Die Inflation ist dabei eine Entwicklung, die sich durch die gesamte Volkswirtschaft zieht – nicht nur der Eisliebhaber, sondern auch der Eisverkäufer und der Eisproduzent sind von der Teuerung betroffen. Ersterer muss für Rohstoffe wie Milch und Energie tiefer in die Tasche greifen, letzterer muss höhere Löhne und andere Kosten bezahlen, so dass er die Preise für das Eis erhöhen muss – niemand kann sich der Inflation entziehen.
Vor allem staatliche Akteure versuchen seit jeher, Inflation zu verhindern oder zu bekämpfen, um soziale Probleme zu vermeiden. Denn schließlich stellen Sparer, deren Ersparnisse entwertet werden, Familien, die auf Wohlstand verzichten müssen, oder Unternehmer, die aufgrund der hohen Preise in Konkurs gehen, ein großes Reservoir an Unzufriedenheit dar.
So alt wie Rom
Dabei ist Inflation kein modernes Übel der Menschheit – schon die Römer kämpften mit unzähligen Münzreformen gegen die Inflation. Neue Münzen oder die Änderung des Metallgehalts sollten die Inflation stoppen.
So änderte Kaiser Aurelian in einer Münzreform den Silberanteil seiner Währung und löste damit paradoxerweise eine weitere Inflation aus, weil die Münzen nicht akzeptiert wurden. Die Wirtschaftskrise konnte nur mühsam wieder rückgängig gemacht werden. Während Aurelian eine Reform anstrebte und die Inflation nicht beabsichtigte, gab es bei den Eliten und Mächtigen immer wieder die Tendenz, die eigene Währung bewusst zu manipulieren, um bestimmte Effekte für sich zu nutzen. So haben die Briten während der Napoleonischen Kriege die Inflation zur Kriegsfinanzierung herbeigeführt, indem sie einfach immer mehr Geld druckten und die Geldentwertung in Kauf nahmen.
Vor 100 Jahren wollten die Entscheidungsträger der Weimarer Republik mit der Hyperinflation den Wahnsinn der Versailler Bestimmungen demonstrieren: Sie druckten immer mehr Geld, um ihre Reparationen zu bezahlen – natürlich war das deutsche Geld für die Entente wertlos.
Die politische Einflussnahme auf die Währung war also ein Problem, das durch unabhängige Zentralbanken verhindert werden sollte. Darunter versteht man Bankinstitute, die zwar quasi-staatliche und öffentliche Einrichtungen sind, aber durch Gesetze strikt von der Politik getrennt sind. Die deutsche Bundesbank ist eine Bundesoberbehörde und hatte bis zur Einführung des Euro wichtige Aufgaben wie die Überwachung der Deutschen Mark (DM). Die Bundesbanker waren die „obersten Währungshüter“ und galten im europäischen Vergleich als besonders streng und diszipliniert, da sie – im Gegensatz zu anderen nationalen Zentralbanken in Europa – eine eher konservative Geldpolitik verfolgten, die Geldvermehrung einschränkten und die Kreditvergabe strengen Regeln unterwarfen. Unter der Führung der Bundesbank entwickelte sich die DM zu einer international anerkannten und stabilen Währung und war Teil der erfolgreichen deutschen Wirtschaftskraft.
Karlsruhe sagt nein
Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet, die heute die wichtigste Institution des Euro mit Sitz in Frankfurt am Main ist. Die nationalen Zentralbanken gaben viele ihrer Privilegien und Pflichten an die EZB ab, die nach den gleichen Regeln wie die Zentralbanken arbeiten sollte. Eine dieser Regeln war das Verbot der monetären Staatsfinanzierung – einfach ausgedrückt: Die Finanzierung des Staates durch die Zentralbank über die Geldpolitik. In Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es in typischem Beamtendeutsch:
„Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten [...] für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen [...] sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken“.
Damit sollte ausgeschlossen werden, dass die Politik eine sogenannte „monetäre Staatsfinanzierung“ anstrebt. Darunter versteht man ein geldpolitisches Konzept, bei dem ein Staat direkt Geld von der Zentralbank erhält, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen.
Problematisch an diesem Konzept ist die maßlose Ausweitung der Geldmenge und die damit verbundene Inflationsgefahr. Zudem verleitet die Möglichkeit, sich problemlos verschulden zu können, Politiker und Entscheidungsträger dazu, vielleicht nicht allzu sparsam zu haushalten, denn die Finanzierung ist ja immer gesichert – warum sollte man auf das Geld achten, das man hat, wenn man ohnehin immer neues zur Verfügung gestellt bekommt? Gute Gründe also, auf das süße Gift der monetären Staatsfinanzierung zu verzichten, sollte man meinen. Doch im Zuge der Finanz- und Eurokrise 2008ff. und 2010ff. sah sich die EZB-Führung gezwungen, kreativer mit ihren eigenen Regeln umzugehen. So begann sie 2009 mit dem Ankauf von Wertpapieren, darunter auch Staatsanleihen, um den Staaten indirekt neue Liquidität zu verschaffen. Rechtlich war dies eine Grauzone, faktisch aber der Beginn einer monetären Staatsfinanzierung.
Zudem wurden von der EZB die Leitzinsen und damit die Kredit- und Refinanzierungskosten immer weiter gegen Null gesenkt. Die Argumentation der EZB lautete: Da die Papiere von anderen, nichtstaatlichen Banken oder Händlern gekauft wurden, würde man nicht gegen Maastricht verstoßen. Auf diese Weise wurden Milliardenbeträge in den Finanzmarkt und damit auch in die Kassen der Staaten gepumpt, die sich so indirekt außerhalb der Marktzinsen günstig refinanzieren konnten. Bis 2017 wurden Staatsanleihen im Wert von bis zu 1 Billion Euro gekauft. Nicht nur Staaten, sondern auch private Unternehmen gerieten in den Rausch des schnell verfügbaren Geldes, was zu einer „Zombifizierung“ der europäischen Wirtschaft führte. Damit sind defizitäre Unternehmen gemeint, die ohne die Geldschwemme der EZB eigentlich pleitegehen müssten – da sie aber auf dem Finanzmarkt immer neue, günstige Kredite aufnehmen konnten, durften sie weitermachen. Das Ergebnis: Seit der Einführung des Euro im Jahr 1999 hat sich die Geldmenge mehr als verdreifacht. Betrug sie Ende 1999 noch 4,7 Billionen Euro, so ist sie bis Ende 2022 auf 16,1 Billionen Euro angewachsen.
Eine tickende Zeitbombe
Wenig überraschend waren es vor allem die nördlichen Euroländer, die dieses Vorgehen der EZB kritisierten. Auch die Bundesbank unter ihrem Präsidenten Jens Weidmann sah in diesem Staatsanleihenprogramm und generell im Handeln der EZB einen Regelverstoß. Diese Einschätzung teilte auch das ehrwürdige Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 so. In seinem Urteil erklärte es im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof das Staatsanleihenkaufprogramm für kompetenzwidrig, da die EZB unter anderem in die Rechte des Deutschen Bundestages in Fragen der Haushaltspolitik eingegriffen habe. Das Gericht sprach die oben genannten Punkte wie Inflation, „Zombifizierung“ und monetäre Staatsfinanzierung offen an. Das Fazit der Verfassungsrichter: Das Handeln der EZB würde gegen das Grundgesetz verstoßen. Die Brüsseler Bürokraten reagierten auf das souveräne Urteil aus Karlsruhe mit einem Verfahren gegen Deutschland – das allerdings eingestellt wurde, nachdem Berlin offiziell erklärt hatte, die EU-Institutionen und den Europäischen Gerichtshof über die deutsche Verfassung zu stellen.
Der EZB wurde damit freie Hand gegeben, die Folgen zeigen sich heute. Durch die Nullzinspolitik und die Zombifizierung der Wirtschaft ist die Eurozone in einen Teufelskreis geraten und muss seitdem Jahr für Jahr russisches Roulette spielen. Das Problem: Die zombifizierten Unternehmen und die klammen Staaten im Euroraum sind auf Nullzinsen angewiesen, um ihre Finanzen stabil zu halten. Würden die Leitzinsen steigen, kämen die Staaten in Geldnot und die Unternehmen müssten Konkurs anmelden – kurzum: Es droht eine Wirtschaftskrise. Experten und Beobachter sprachen daher nicht zu Unrecht metaphorisch von einer „Zeitbombe“, die die EZB mit ihrer Nullzinspolitik ins Nest gelegt habe. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Inflation durch die Geldmengenausweitung ausbrechen würde.
Die Frage – Was nun?
Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sorgten jedoch für Chaos. Blockaden, unterbrochene Lieferketten und Sanktionen gegen Russland erschütterten das Wirtschaftsleben, was sich in einer steigenden Inflation niederschlug. Das Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre sieht bei steigender Inflation eine Anhebung der Leitzinsen vor, um über eine Einschränkung der Kreditvergabe die Ausweitung der Geldmenge zu begrenzen und damit eine Überhitzung der Wirtschaft zu bremsen.
Die Experten sind sich aber uneinig: Während Akteure aus dem regierungsnahen Mainstream die Inflation vor allem auf Lieferkettenprobleme und Ressourcenknappheit sowie die hohen Energiepreise aufgrund der Abkehr von russischen Energieträgern zurückführen, sehen andere Experten in der aktuellen Inflation das Ergebnis einer jahrelangen verfehlten Politik der Zentralbanken und staatlichen Akteuren.
Dementsprechend beschränkt sich die Inflationsbekämpfung derzeit vor allem auf Leitzinserhöhungen und Konjunkturpakete. Dass wir es heute noch nicht mit vielen bankrotten Staaten und sterbenden Unternehmen zu tun haben, liegt vor allem daran, dass die EU wegen der Pandemie und des Krieges riesige Programme aufgelegt hat, um Staaten und Unternehmen bei der Finanzierung und Weiterführung ihrer Geschäfte zu unterstützen. So beinhalten die Corona-Fonds der EU über 750 Milliarden Euro.
Wirkliche Lösungen stellen diese Maßnahmen also nicht dar, im Gegenteil: Die endgültige Lösung wird von der EU und der EZB immer wieder in die Zukunft verschoben. Fakt ist, dass vor allem die Nordländer und auch die Deutschen unter dieser Finanz- und Geldpolitik leiden, denn es sind die deutschen Sparguthaben, die durch die Inflation dahinschmelzen, wohlgemerkt, nachdem sie jahrelang wegen der Nullzinsen gar nicht wachsen konnten. Gleichzeitig können sich weniger wirtschaftsstarke Euroländer auf Kosten Deutschlands verschulden, weil Deutschland mit haftet.
Überspitzt formuliert ist die europäische Geldpolitik also nichts anderes als eine Umverteilung des deutschen Reichtums an die anderen Mitgliedsländer, aber auch von unten nach oben – denn schließlich profitieren von der expansiven Geldpolitik gerade diejenigen, die ohnehin schon viel haben, weil sie aufgrund des erleichterten Kreditzugangs noch mehr und einfacher investieren können – zum Beispiel in Aktien oder Immobilien. Je länger mit einer Lösung gewartet wird, desto schwieriger wird es in Zukunft, den ganzen Schlamassel vernünftig aufzulösen, ohne wirklich den ganzen Stamm mitsamt Wurzeln ausreißen zu müssen. Ob der Wille dazu überhaupt vorhanden ist, muss wohl verneint werden, denn mit dem Euro und der EZB steht das gesamte europäische Projekt auf dem Spiel. Eine katastrophale Implosion des Euro würde die Legitimität der EU beschädigen. Gleichzeitig profitieren natürlich Länder wie Italien davon – und wer will schon einem geschenkten Gaul ins Maul schauen?