Vor einigen Wochen stellten wir unseren Lesern die angebliche Bürgerbewegung Pulse of Europe und ihr zweifelhaftes Europabild vor. Jetzt legt unser Recherche-Team die Hintergründe zu dem Projekt offen.
Daniel Röder und Stephanie Hartung – Selbstlose Advokaten, oder Anwälte ihrer selbst?
An der Spitze von Pulse of Europe steht ein als „Freundeskreis“ vorgestelltes Organisationsteam um die beiden Anwälte Daniel Röder und Stephanie Hartung. Die Frankfurter treten als öffentliches Gesicht von PoE auf, leisten maßgebliche Vernetzungs- und Organisationsarbeit und leiten den erfolgreichen Ableger in der Mainstadt. Obgleich schon früh der Anspruch im Raum stand, in ganz Europa Kundgebungen zu veranstalten, haben die Frankfurter Demonstrationen sich innerhalb der letzten Monate als Flaggschiff etabliert. Die Parallelen zur Dresdner PEGIDA sind offenkundig und es ist durchaus naheliegend, dass das Organisationskomitee von Pulse of Europe den Aufschwung der Bürgerbewegung sehr genau analysiert hat.
Als Geburtsstunde von Pulse of Europe gilt ein „Kick-Off-Meeting“ Ende November 2016. Die Veranstaltung wurde teilweise öffentlich beworben, die Mobilisierung funktionierte zum einen über ein professionell aufgemachtes Werbevideo, welches auf Facebook geteilt wurde, und zum anderen über ein durch Studium und gemeinsame Zuarbeit geschmiedete Netzwerk von Anwälten, dem Röder und Hartung angehören. Man möge sich keine falsche Illusionen machen: Bei dem „Kick-Off-Meeting“ handelte es sich nicht etwa um die spontane Demonstration engagierter Bürger, sondern um ein als Testlauf organisiertes Anwerbetreffen. Grundzüge der simplen wie genialen Markenzeichen des geplanten Projektes – EU-Fahnen und die blauen Armbänder – waren bereits mit von der Partie. Bei dem Entwurf dieser Corporate Identity konnten Röder und Hartung – letztere ist unter anderem auf Markenrecht spezialisiert – auf ihre Verbindungen ins Marketing-Milieu zurückgreifen.
Eine Franchise für Europa
Ohnehin wirkt Pulse of Europe von vorne bis hinten durchorganisiert. Eine Dokumentation des Fernsehsenders arte ermöglicht einen kurzen Blick hinter die Kulissen und lässt Rückschlüsse auf die Motive und Handlungsweisen von Röder und Hartung zu: Bis in die Familie und die eigenen Kanzlei hinein geht die Mobilisierung und Instrumentalisierung für das Großprojekt Pulse of Europe. Selbstverständlich kommen die eigenen Angestellten gern regelmäßig zur Veranstaltung und natürlich wirbt die Tochter in der Schule voller Elan für einen sonntäglichen Schulausflug zur Großdemonstration und packt regelmäßig selbst mit an. Besonders perfide: Wie in dem Beitrag zu sehen ist, drängt Stephanie Hartung ihre Tochter dazu, das blaue Pulse-of-Europe-Armband in ihrer Klasse als „It-Piece“, also als das Accessoire schlechthin, zu etablieren.
Mit der Marke Pulse of Europe wird dementsprechend behutsam umgegangen. Wer unter dem Label eine Demonstration ausrichten möchte, soll sich an das Frankfurter Organisationsteam wenden. Nach einer Prüfung der Veranstalter bekommt er dann – wie in einem Franchise-Unternehmen – organisatorische Anweisungen, Flyerdesigns und Gestaltungsvorschläge. Auch das sogenannte „freie Mikrofon“ unterliegt genauer Aufsicht, niemand soll das erfolgreiche Konzept der breiten Anschlussfähigkeit durch grundsätzliche, oder kritische Redebeiträge stören.
Viele Ortsgruppen kommen zudem nicht aus dem Nichts. Um den Anschein einer europaweiten „Bewegung“ zu wahren, haben Röder und Hartung ihr Netzwerk aktiviert: So handelt es sich auch bei den Initiatoren des Pariser Ablegers, Lætitia Mougenot und Aurélien Condomines, um Rechtsanwälte, gleiches liegt in Amsterdam (Benjamin van Kessel) und in Köln (Elisabeth und Christophe Kühl) vor. Wieviele der zwischenzeitlich über 100 PoE-Ausgründungen wirklich aus der Bevölkerung erwachsen sind und nicht aus dem undurchsichtigen Netzwerk der Anwälte, lässt sich nicht nachvollziehen. Auch die Spenden, die über das inzwischen eröffnete Konto eingehen, werden von Frankfurt aus verteilt. Seit April ist Pulse of Europe ein eigener Verein, die Gemeinnützigkeit ist ihm bereits vorläufig durch das Finanzamt bescheinigt worden. Gemeldet ist der Verein im noblen Westend zwischen Arztpraxen und – wer hätte es gedacht? - Anwaltskanzleien.
Pulse of Europe – Marke und Werbeträger in einem
Als Anwälte gehören die Köpfe hinter Pulse of Europe zu genau dem gutverdienenden Bildungsbürgertum, das sie mit ihrer Kampagne ansprechen wollen. Ihr Geld verdienen Sie mit der Vertretung internationaler Konzerne, Röders Kanzlei Greenfort war beispielsweise an der Privatisierung des Frankfurter Flughafens maßgeblich beteiligt. Zur Frage, ob sie durch Privatisierungsabwicklungen an der Euro-Krise profitiert hat, hat Röder sich bisher nicht geäußert. Man muss allerdings fairerweise bemerken: Daraus, dass sie von einem Europa des unbegrenzten Flusses von Kapital und Arbeitskraft profitieren, machen die Organisatoren von PoE keinen Hehl, wir erinnern uns an die Erläuterung zur sechsten Grundthese:
„Personenfreizügigkeit, freier Warenverkehr, freier Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit – die europäischen Grundfreiheiten – sind historische Errungenschaften, die aus Nationalstaaten eine Gemeinschaft gemacht haben. Sie sichern individuelle Freiheit und Wohlstand. Eine Beschneidung der Grundfreiheiten würde dramatische wirtschaftliche und persönliche Folgen auslösen. Nur durch die Gesamtheit der Grundfreiheiten wird die ausgewogene Verknüpfung von Rechten und Pflichten sichergestellt. Sonderwege und Ausnahmen führen zu einer Erosion der Gemeinschaft.“
Noch größer als ihre Begeisterung für ein grenzenlos ausbeutbares Europa dürfte allerdings ihr Interesse an einem Erfolg der Marke „Pulse of Europe“ sein. Im Moment befindet sich PoE durch die oben genannte laufende Professionalisierung auf dem besten Weg ihr Image als „Graswurzelbewegung“, die das vorpolitische Feld zugunsten der Europäischen Union beeinflusst, weiter zu festigen. Obgleich man sich bis jetzt pressewirksam einer Subvention durch die Europäische Kommission verweigert hat, nimmt man die Steuerbegünstigungen der Gemeinnützigkeit gerne an und arbeitet inzwischen auch mit Parteistiftungen zusammen. In einer Zeit, die das Initiieren eines Hashtags bereits mit bundesweiter Berühmtheit und der Einladung in unzählige Talkshows belohnt, kann davon ausgegangen werden, dass der Aufbau einer europaweiten Marke wie Pulse of Europe eine hervorragende Möglichkeit ist, um sich auf dem internationalen juristischen Parkett einen Namen zu machen.
Es gibt Anwaltskanzleien, die Flyer, oder ausgefallen Visitenkarten verteilen, um sich bekannt zu machen, aber welcher Markenrechtler kann schon die Etablierung einer ganzen „Bürgerbewegung“ inklusive ausgefeilter Corporate Identity vorweisen, die es bis in den Bundestag schafft? Ein bessere Werbung kann sich Röders Greenfort-Kanzlei kaum wünschen.
Fazit
Obgleich seitens des Organisationsteams regelmäßig versucht wird, Pulse of Europe als Bürger- oder Graswurzelbewegung zu verkaufen, die sich aus der Mitte der Bevölkerung gegründet hat, wird bei tiefergehender Betrachtung deutlich, dass das Projekt von einer gut vernetzten Gruppe an Juristen, die zum Teil ein wirtschaftliches Interesse an einer möglichst offenen Europäischen Union haben, konzipiert und getragen wird. Neugegründete Ortsgruppen werden über das Vereinsbüro in einem Frankfurter Nobelviertel mit Material und Grundlageninformationen versorgt und vertreten die Marke Pulse of Europe quasi als „Franchise-Unternehmer“. Besonders für die Hauptorganisatoren um Daniel Röder und Stephanie Hartung ist PoE zudem ein willkommenes Aushängeschild und eine Möglichkeit zur Kundenakquise.
Weshalb Medien und Parteien begeistert von Pulse of Europe sind und wie es mit der Bewegung weitergeht, erfahren Sie im dritten Teil unserer Reihe.